Wie alles begann...

Der folgende Text stammt nahezu unverändert aus dem leider inzwischen vergriffenen Buch "Dschinghis Khan" von Peter Cornelsen und Peter Hartmann jr. aus dem Jahr 1980 und bietet einen sehr informativen Überblick über die Gründungsphase der Gruppe. Eine Urheberrechtsverletzung ist nicht beabsichtigt.

Die Idee

Wenn man es genau besieht, ist die Geschichte der Gruppe Dschinghis Khan mindestens so spannend wie ein Durbridge-Krimi: Unter der Führung eines pfiffigen, versierten und talentierten Produzenten bringen es sechs junge Leute, von denen sich vorher nur zwei kannten, innerhalb weniger Wochen fertig, in allen internationalen Hitparaden herumzugeistern. Fragt der unbedarfte Beobachter: Wie funktioniert das eigentlich? Was muss man dazu können, was tun, was nicht tun? Versuchen wir, eine Antwort zu finden:


Die Dschinghis Khan-Legende beginnt mit einem bekannten Festival und einer Idee, die schon lange im Schreibtisch schmorte. Ralph Siegel, Produzent, Komponist und Erfinder von Dschinghis Khan, sah sich im Herbst 1978 mit dem Problem konfrontiert, für den alljährlich stattfindenden "Grand Prix de la Chanson" ein Lied für Deutschland zu schreiben. Mit seinem Freund und Textdichter Dr. Bernd Meinunger - eigentlich ein Agrar-Ökonom, in dessen Zuständigkeit sonst eher wissenschaftliche Forschungsgutachten fallen - saß Komponist Ralph Siegel am heimischen Klavier und probierte Melodien eben für jenen Grand Prix aus:


"Wir hatten drei Lieder geschrieben, es war so gegen acht Uhr abends, und wir waren eigentlich müde und wollten essen gehen, und da sagte Bernd Meinunger: "Ach, lass uns doch noch ein Lied machen. Lass uns doch endlich einmal dieses Dschinghis Khan-Lied schreiben." Ich fand die Idee phantastisch. Und dann sind wir eben darauf gekommen, dieses Lied für den Grand Prix zu schreiben", erzählt Ralph Siegel über die "Geburtsstunde" des neuzeitlichen Dschinghis Khan. 



Anmeldung zur Grand Prix-Vorentscheidung

In der Tat hatten die beiden einfallsreichen Showmacher mit dem Song genau den Nerv des internationalen Publikumsgeschmacks getroffen. Erzählt Ralph Siegel über seine Dschinghis Khan-Konzeption: "Die Problematik bei internationalen Wettbewerben besteht immer in den verschiedensprachigen Texten, wo eben die Zuschauer in Finnland nicht verstehen, was der Deutsche singt und die Deutschen nicht verstehen, was der Finne singt. Und so kamen wir auf die Idee, das Dschinghis Khan-Lied für den Grand Prix zu schreiben, weil es ein international bekanntes Wort ist. Wir haben uns weiter gesagt, nicht nur der Text ist wichtig, sondern auch die Darstellung dessen, was im Text passiert, die Kostümierung also."


Aber da sind wir schon zu weit. Ralph Siegel hat erst mal ein Demonstrationsband aufgenommen, das er noch selbst besungen hatte. Dieses "Demo" - wie man im Branchenjargon sagt - musste von einer Jury bewertet werden, die es dann zur deutschen Vorentscheidung zum internationalen Grand Prix zulassen konnte. Bevor das Demo allerdings via Post die Jury erreichte, hatte Ralph Siegel gleich noch eine Idee. Im Begleitschreiben an die Juroren vermerkte er, dass das Lied "Dschinghis Khan" natürlich auch von einer Gruppe "Dschinghis Khan" gesungen werden würde.


Nun passiert meistens alles schneller, als man denkt: Der Siegel-Song wurde prompt angenommen, und der Meister selbst geriet unter Zeitdruck, denn es gab weder eine Gruppe noch eine Platte, noch sonst irgendwas. Kommentiert Ralph Siegel trocken: "Das Lied Dschinghis Khan kam als 12. und damit letzter Titel gerade noch in die Vorentscheidung. Es gab keine Gruppe, und ich stand vor der Tatsache, bis zum 17.März 79 diese Gruppe Dschinghis Khan auf die Bühne zu stellen. Ich hab' mir gedacht, na ja, das werden wir schon schaffen. Und dann kam Weihnachten, dann kam wieder die berühmte Messe MIDEM in Cannes, und als ich Ende Januar von dort zurückkam, hatten wir noch knappe sechs Wochen Zeit."


Da musste dann natürlich etwas passieren. Weil aber Ralph Siegel und seine Mannen nicht erst seit drei Tagen in dem Job arbeiten, sondern schon fünfzehn Jahre Erfahrung auf dem Buckel haben, gingen sie mit der notwendigen Souveränität ans Werk: "Ich habe mich auf alle Leute besonnen, die man so kennt und die nicht unter Vertrag waren. Und da habe ich eben von Frankfurt bis Liechtenstein, bis Zürich, bis Luxembourg alles angerufen, was ich kannte. Und in den ersten vierzehn Tagen sind dann so fünfzehn junge Sänger bzw. Sängerinnen bei mir in München gewesen, mit denen ich mich unterhalten habe, sie für die Idee Dschinghis Khan begeistert habe und aus denen sich die jetzigen sechs Dschinghis Khan-Mitglieder herauskristallisiert haben." 



Das "Casting"

Natürlich hat dabei auch wieder der Zufall mitgespielt. So zum Beispiel beim Engagement von Steve Bender (das Ist der mit der Glatze): Steve Bender nämlich wurde schon vorher vom Hause Siegel produziert. Sein schon damals nackter Schädel blickte fröhlich von einem Poster, das im Büro des Siegel-Produzenten Werner Schüler hing. Kommentar von Ralph Siegel, als er den

blankrasierten Bender-Schädel erblickte: "Menschenskind, der passt doch genau in meine Vorstellung."


Leslie Mándoki zum Beispiel wurde aus dem großen Nachwuchsteich gefischt: „Dann kam ein junger ungarischer Komponist, der sich bei mir im Hause bereits mit eigenen Kompositionen beworben hatte - eben Leslie Mándoki. Man sucht ja immer Nachwuchs, und eines Tages hat mir mein Freund und Mitarbeiter Joachim Neu-bauer Leslies Bild gezeigt, und ich habe gedacht, der sieht toll aus. Wenn der auch noch gut singt, dann paßt er zu Dschinghis Khan“, erläutert der Chef des Hauses Siegel.


Voraussetzung beim Suchen nach den richtigen Dschinghis Khan-Mitgliedern war immer deren Begeisterung: Jedem, der in der Münchner Höchlstraße vorbeischaute, entwickelte Ralph Siegel sein Dschinghis Khan-Konzept und versuchte, Musiker und Sänger dafür zu begeistern. Wichtig war, daß alle an der Idee Spaß hatten; daß sie überzeugt waren: „Ja, wir machen diese Gruppe, und wir wollen Erfolg haben mit dieser Gruppe.“


Edina Pop, die ja von allen Dschinghis Khan-Mitgliedern im bundesdeutschen Popgeschäft die Bekannteste sein dürfte, kannte Ralph Siegel schon vorher recht gut: Sie komplettierte als TV-erfahrene Sängerin das Team für den herannahenden Grand Prix. Louis Potgieter, der den tanzenden Dschinghis Khan darstellt, kam zur Gruppe fast als konzeptionelle Folge: Weil Ralph Siegel davon ausgegangen war, dass der Dschinghis Khan nicht nur besungen, sondern auch als Figur gezeigt werden sollte, suchte er gezielt nach einem Tänzer: Von dem befreundeten Choreographen Billy Millé bekam er den Tip für Louis Potgieter. Der geborene Südafrikaner hatte sich nämlich für ein Zweijahresgastspiel am Münchner Gärtnerplatztheater niedergelassen, um klassisches Ballett zu tanzen. Potgieter, der ein ausgesprochenes Faible für modernes Entertainment hat, ließ sich den Dschinghis Khan-Vorschlag nicht zweimal sagen. Er schlug ein und war dabei.


Ralph Siegel hatte derweil die Mannschaft fast zusammen; die Zeit bis zur deutschen Grand-Prix-Vorentscheidung war nicht mehr lang, und es fehlten noch zwei weitere Dschinghis Khan-Mitglieder in Siegels Konzeption. Wie so oft, war Meister Glück der Retter in der Not. Erzählt Ralph Siegel: „Mir fehlten noch ein Mann und ein Mädchen. Da ich ja nun sehr viel in Musikerkreisen arbeite und lebe, fragte ich auch unter meinen dortigen Freunden: ‚Kennt ihr nicht noch jemand, der singen kann, gut aussieht und nett ist?‘ Und bei einer dieser Gelegenheiten sagte unser Gitarrist Billy Lang: ‚Klar, mein Freund Wolfgang.‘ Und ich antwortete: ‚Den kenn' ich doch. Von dem hast du mir doch schon mal was vorgespielt.‘ Und dann kam Wolfgang Heichel zu mir; ich erzählte ihm wieder die ganze Geschichte; ich spielte ihm den Titel vor, erzählte ihm die Idee - und er war sofort begeistert. Na, und da habe ich ihn auch gleich gefragt, ob er nicht noch ein Mädchen kennt, das da reinpassen könnte. Und da antwortet mir der Wolfgang, ja, er kenne jemand, aber er wüßte nicht so genau, und er druckste so herum. Na, da frage ich ihn: ‚Sagen Sie mir bloß nicht, dass das Ihre Frau ist?‘ Da sagt er: ‚Ja, es ist meine Frau.‘ Da habe ich ihm geantwortet: ‚Na ja, ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, ich nehme keine Rücksicht darauf, ob das Ihre Frau ist oder nicht, wenn sie mir nicht hundertprozentig gefällt.‘ Und am nächsten Tag kam dann Wolfgang mit seiner Frau Henriette. Wie ein Engel schwebte sie in den Raum herein. Ich weiß das noch wie heute: Sie hatte ein hell-beiges Kleid an und sah bezaubernd aus. Da habe ich bei mir gedacht, wenn sie noch singen kann, ist das die Idealkombination. Wir setzten uns gemeinsam ans Klavier - und sie konnte singen. Na, und dann hatten sich eben die sechs Richtigen für Dschinghis Khan gefunden.“


 

Kostüme und Choreografie

Nachdem nun Ralph Siegel seine Gruppe zusammen hatte, waren noch knapp fünf Wochen Zeit bis zur deutschen Grand-Prix-Vorentscheidung. Und dann begann eben das, was er selbst mit gepflegtem Understatement als »Strapaze« bezeichnet. Die sechs Dschinghis Khan-Mitglieder mußten sich natürlich erst mal beschnüffeln. Wer konnte denn vorher wissen, wie sie alle zueinander passen würden. Und wenn man gemeinsam auf der Bühne stehen soll, Tage und Nächte gemeinsam verbringen soll, muß auch der persönliche Kontakt untereinander in Ordnung sein. Also gingen Steve, Henriette, Edina, Louis, Wolfgang und Leslie gemeinsam spazieren, verbrachten die Abende zusammen, gingen einkaufen und lernten sich dabei eben so richtig kennen. „Es war wichtig, daß sich die Gruppenmitglieder auch als Menschen, als Privatpersonen, verstanden. Man merkte ziemlich schnell, daß es da eine Verständigung gab, die erstens musikalisch sehr nahe lag und zweitens auf der einen Seite menschlich mit viel Humor und auf der anderen Seite auch mit viel Ernsthaftigkeit verbunden war“, fasst Ralph Siegel seine Eindrücke aus der »Kennenlernphase« der Gruppe zusammen.


Nun aber hatte sich die Gruppe mit einem Problem auseinanderzusetzen, das sich scheinbar bis heute noch nicht gelöst hat: Zeitdruck. Trotz des immensen Arbeitsaufwandes, den alle Beteiligten am Dschinghis Khan-Projekt aufbringen, sollte der Tag für Dschinghis Khan eigentlich mindestens achtundvierzig Stunden haben.


Zuerst einmal mußten die Kostüme geschneidert werden. Nun hatte Ralph Siegel zwar eine Vorstellung, eine Konzeption im Kopf - die Realisation aber war natürlich mit vielerei Schwierigkeiten verbunden. Beauftragt wurde ein Profi: Marc Mano, 30jähriger Münchner mit Atelier in der Leopoldstraße, ist schon seit über zehn Jahren damit beschäftigt, deutsche und internationale Künstler für Bühne und Foto »anzuziehen«. Zu seinen Kunden zählen Amanda Lear, Silver Convention, Chris Roberts und Howard Carpendale genauso wie Peter Maffay, Roberta Kelly, D. D. Jackson und Claudia Barry. Seit gut fünf Jahren ist der Schneidermeister führend in der Discomode: Ihn interessiert dabei weniger das Musikalische als das Glitzernde. Satinstoffe, Pailettenkleider, Glitzerhosen und andere wertvolle Ausstattungsdetails füllen bei ihm Ständer und Regale. Mit Ralph Siegel und der Gruppe plante und schneiderte Mano all das, was Dschinghis Khan auf Fotos, Plattenhüllen, bei TV-Auftritten und Bühnenshows auf dem Leibe zu tragen pflegt. Stundenlange Anproben, komplizierte Stoff- und Farbenauswahl, Änderungen in Länge, Kürze und Weite: Bis Dschinghis Khan die ersten fertigen Kostüme in den Reisekoffer packen konnte, musste viel Arbeit, Zeit und Geld investiert werden.


Die Angelegenheit wurde außerdem noch dadurch kompliziert, daß Zeitungen und Zeitschriften bereits Fotos anforderten, um ihre Grand-Prix-Ausgaben vorzubereiten. Erinnert sich Ralph Siegel: „Wir standen immer vor dem drohenden Dilemma ‚Kinder, wir werden keine Fotos haben‘. Ich war schon sicher, dass es in einigen Zeitungen keine Fotos von der Gruppe geben würde, sondern nur ein großes Fragezeichen mit dem Satz ‚Wer ist Dschinghis Khan?‘. Als wir dann die ersten Fotos für die Presse anfertigten, waren einige Kostüme noch zusammengesteckt. Man kann das auch daran sehen, daß die Aufnahmen auf den späteren Plattenhüllen dann ganz anders sind als die ersten Fotoaufnahmen.“


Zu der Arbeit an den Kostümen kam eine weitere wichtige Aufgabe, um das Konzept »Dschinghis Khan« optisch optimal zu präsentieren: Die Zusammenarbeit mit einem Visagisten. Das sind Leute, die im Rahmen einer kosmetischen Gesichtspflege Gesichtsausdrücke verändern können. Mit Schminke, Puder, Lidstrich und anderen kosmetischen Geheimtricks können Gesichter strahlender, ernster und markanter gestaltet werden. Diese Arbeit ist schon allein deswegen notwendig, damit nicht zum Beispiel im Fernsehstudio bei dem für die TV--Aufnahmen notwendigen sehr hellen Licht ein Gesicht seine Konturen verliert und der Zuschauer nur noch ein fleischfarbenes, ovales Etwas sieht.


Das Siegel-Team holte sich dafür eine der bekanntesten und erfolgreichsten Visagistinnen:

Heidi Moser, die in eigenen Studios in New York, Paris und München zahlreiche internationale Bühnenstars pflegt und für Bühne und Fernsehen optimal schminkt, beschäftigte sich fortan mit den Gesichtern der Gruppe Dschinghis Khan.


Kostüm und Maske waren bereits ein Problem, das viele andere in dieser kurzen Zeit kaum gemeistert hätten. Nun sollte Dschinghis Khan ja nicht nur gutaussehend auf der Bühne herumstehen, sondern auch noch einen Song singen und dazu perfekt tanzen. Also stellte sich für Ralph Siegel die Aufgabe einer choreographischen Konzeption: „Ich habe nach einem Choreographen gesucht und bin dabei auf einen mir bereits bekannten und sehr, sehr erfolgreichen gestoßen: Hannes Winkler. Ich habe ihn eingeladen und ihn für die Dschinghis Khan-Geschichte begeistern und gewinnen können.“


Hannes Winkler ist einer der großen Choreographieprofis in Deutschland: Er formte zahlreiche Femsehballette, arbeitet ständig für das Zweite Deutsche Fernsehen und gestaltete zum Beispiel die Sendung Musik ist Trumpf. Winkler machte sich sofort an die Arbeit. Nun ist diese Aufgabe fast der schwierigste Teil der Grand-Prix-Vorbereitungen gewesen: Das lag daran, dass die meisten Dschinghis Khan-Mitglieder in Sachen Choreographie absolute Newcomer waren. Lediglich Louis Potgieter, der ja als Berufstänzer jahrelang an vielen internationalen Bühnen klassisches Ballett getanzt hatte und Henriette Heichel mit ihrem langen Training als Schlittschuhläuferin konnten auf Erfahrung zurückblicken. Die anderen waren zwar mit Tanzschritten und Taktgefühl vertraut, hatten aber noch nie nach einer geplanten und synchron ablaufenden Choreographie tanzen müssen. Stunden- und tagelanges Arbeiten begann. Während der Termin 17. März - der Tag der deutschen Vorentscheidung - immer näher rückte, arbeitete Dschinghis Khan von morgens früh bis abends spät, um das später fröhlich und locker aussehende Programm perfekt auf die Beine zu stel-len.


Hannes Winkler, der in diesen Tagen fast ständig mit der Gruppe zusammenarbeitete, ist seit dieser Zeit nicht nur Choreograph, sondern Freund der Gruppe: „Es hat sich eine Art Betreuungsverhältnis zwischen Hannes Winkler und Dschinghis Khan entwickelt, eben ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Hannes Winkler ist so etwas wie das 7. Dschinghis Khan-Mitglied geworden. Er hilft bei der Gestaltung der Kostüme mit; er organisiert den Bühnenaufbau bei TV-Auftritten; er hilft den Fernsehregisseuren, einen Teil der Bildregie vorauszuplanen, damit Kostüme, Choreographie, Song sowie Bühnen- und Kamerabild zueinander passen. Das hat ihn natürlich Tag und Nacht beschäftigt, aber er hat alles andere zur Seite geschoben, sich nur noch um die Gruppe gekümmert und in wochenlanger Kleinarbeit eine Choreographie aufgebaut.


 

Plattenproduktion

Wer bis jetzt noch nicht den Eindruck hat, dass für den kurzen Moment eines Auftritts, den wir Zuschauer als lockere, leichte und angenehme Unterhaltung empfinden, sehr hart gearbeitet werden muss, läßt sich vielleicht von den folgenden Eindrücken Ralph Siegels überzeugen. Wie kein Zweiter hat er als Planer und Organisator, als Freund, Produzent und Komponist der Gruppe ihre Entstehung und ihr hohes Arbeitspensum miterlebt und mitgetragen. Hier ein Ausschnitt aus seinem Augenzeugenbericht:


„Vielleicht kann man sich vorstellen, was es bedeutet, fünf Wochen lang mit der Nervenanspannung ‚Am 17. März muß alles fertig sein‘ zu leben und zu arbeiten. Da muss gleichzeitig eine Plattenproduktion gemacht werden, da ist die Choreographie einzustudieren, sind Kostüme zu machen, Fotos zu erstellen - und das alles mit Leuten, die sich eben erst kennengelernt haben. Da gehört natürlich ein ungeheures Zugehörigkeitsgefühl der Gruppe und aller Beteiligten dazu. Ein großer, erweiterter Kreis musste mitarbeiten, angefangen bei mir selbst und im Rahmen meiner Plattenfirma und meiner Produktion. Von der Promotionarbeit bis zur persönlichen Betreuung:


Wenn Schuhe nicht passten, Pässe verlängert werden mussten usw., eben die Koordinierung von sechs verschiedenen Menschen, die vom einen auf den anderen Tag aus ihrem normalen Tagesablauf gerissen worden waren. Da mussten viele persönliche Angelegenheiten erledigt werden und so weiter. Wir haben gemeinsam einen Terminplan aufgestellt, der zum Fürchten war, wie man so schön sagt. Ein Terminplan, wie ihn ein Minister hat. Die Choreographie zum Beispiel: So was lernt man ja nicht in einer Probe. Da müssen erst mal die Grundtendenzen festgelegt werden; das muß dann geprobt werden und noch mal geprobt werden. Dann platzen die Kostüme, und wir stellen fest, die Kleider müssen aus Stretchmaterial sein, damit wir damit überhaupt tanzen können. Dann müssen alle Kostüme neu geschneidert werden, damit man damit auch tänzerisch arbeiten kann.


Und das ging bei fast allen Dingen so weiter. Es war am Anfang ein ziemlicher Stress, der aber in der Begeisterung aller unterging und in der Zuversicht, es zu schaffen. Und dann hat uns natürlich auch die Tatsache nervös gemacht, dass bis dahin keiner die Gruppe Dschinghis Khan kannte und die Konkurrenz bei der deutschen Vorentscheidung sehr stark war. Die Sänger waren ja teilweise sehr bekannt und schon lange professionell eingespielt:

Roberto Blanco zum Beispiel, der ein Vollprofi ist und ganz genau weiß, wie er sein Publikum begeistern kann. Oder die fröhlichen »Truck Stop« oder eben auch Paola, die damals gerade einen großen Hit hatte. Gerade Paola war die absolute Favoritin für die Vorentscheidung. Und unser Nervenkostüm begann natürlich immer mehr zu zittern.


Bevor aber die Teilnehmer der deutschen Grand-Prix--Vorentscheidung sich in der Münchner Sedlmayr-Halle der Jury stellen konnten, mußte noch eine ganz andere, aber eigentlich die wichtigste Voraussetzung geschaffen werden: Dschinghis Khan musste den Song „Dschinghis Khan" auf Schallplatte aufnehmen. Dass dies mit sechs ausgewachsenen Profis zu machen ist, dürfte jedem klar sein; wieviel Arbeit aber in der Produktion einer Schallplatte steckt, dürften nur die wenigsten wissen. Wie das vor sich geht, wie überhaupt eine Schallplatte zustande kommt, erzählt Ralph Siegel so:


„Zuerst einmal wird eine Idee bzw. ein Konzept erarbeitet. Da sind die Autoren und Textdichter, die Tage und Nächte daran sitzen, einen Text zu verbessern und zu vervollkommnen. Dann spielt man dieses Ergebnis dem Künstler vor und fragt ihn, ob ihm das Lied gefällt. Ich würde nie ein Lied mit einem Künstler aufnehmen, das ihm nicht gefällt. Ein Künstler muss an einem Lied Gefallen finden, daran Spaß haben. Er muß die Intention haben, dieses Lied zu singen. Schließlich ist er es ja, der damit dann auf der Bühne stehen muß. Und wenn dem Künstler das Lied gefällt, werden die Tonarten festgelegt. Bei einem Solisten ist das meistens noch ein bißchen einfacher, weil der Stimmumfang im allgemeinen vorgegeben ist. Wenn man aber mit einer Gruppe arbeitet, ist das wiederum sehr schön, weil man von den tiefen Männerstimmen bis zu den hohen Damenstimmen ein bedeutend größeres Spektrum hat. Ich kann mit einer Gruppe kompositorisch viel mehr machen, weil ich nicht auf eine Männerlage oder die meistens noch kleinere Frauenlage festgelegt bin. Man sitzt also mit dem Künstler am Klavier, legt dieTonarten fest und beginnt dann mit dem Arrangeur, die ganze Nummer zu besprechen. Da wird die Stilistik des Liedes festgelegt: was die Streicher spielen sollen, was von den Rhythmusinstrumenten gemacht werden soll, was dieses Instrument spielt oder jenes Instrument spielen soll. Und dann beginnt die Arbeit im Studio: Zuerst wird das sogenannte Grundplayback angefertigt, d.h., es spielen meistens so vier oder fünf Musiker Bass, Schlagzeug, Gitarre und Klavier auf ein Mehrspurband. Darauf kommen dann die Overdubes, die Überspielungen: Das sind weitere Gitarren oder Tambourin oder Synthesizer oder ähnliche Instrumente, je nach Arrangement. Danach kommen meist Streicher - falls man Streicher bei dem Titel haben will - oder Bläser, oder Flöten, oder Klarinetten. Erst dann singt der Künstler seine Stimme, also den eigentlichen Titel auf dieses Band. Und dann wird gemischt. Das ist eine Heidenarbeit. Wir verbringen bei Singles zwischen einem und drei oder vier Tagen mit der Mischung. Das heißt nicht, dass man zum Beispiel mit einer Mischung Gold aus einer Stimme machen kann. Die Stimme bleibt immer eine Stimme. Der Laie glaubt immer, man könne eine Stimme durch Technik sooo viel besser machen. Das stimmt gar nicht. Die Stimme bleibt immer die, die sie ist. Man kann nur das Verhältnis von Hall verändern. Also, wenn man keinen Hall nimmt, klingt das etwa so, als ob einem jemand ins Ohr singt. Und wenn man nun eine andere, räumliche Atmosphäre schaffen will, muss man eben mehr Hall nehmen. Und dann ist natürlich wichtig, in welchem Verhältnis die Stimme zum Orchester gemischt wird. Wenn man also teilweise bis zu sechzig Mann Orchester bei einem Titel hat, dann ist natürlich wichtig, wer in welchem Verhältnis singt oder spielt. Wenn die Stimme zu laut ist, höre ich das Orchester nicht, und ist das Orchester zu laut, höre ich die Stimme nicht mehr. Jetzt möchte man aber an einer Stelle des Songs die Streicher hören und trotzdem die Stimme und so weiter. Das Ganze ist eine furchtbar schwere Arbeit. Viele Nichtprofis unter den Produzenten haben hier die meisten Probleme, dieses ganze musikalische Bild, das aus so und so viel verschiedenen Farben besteht, zum richtigen Bild zusammenzumischen. Hier werden sehr viele Produktionen kaputtgemacht. Das ist der letzte, aber eben wichtigste Handgriff bei einer Produktion. Wenn die Stimme zu weit drinnen ist, kann man den Text nicht mehr verstehen. Kommt jetzt aber die Stimme zu weit vor, dann ist der Rhythmus manchmal weg. Und die Arbeit ist eben, das Bild so abzurunden, daß das Publikum sagt: ‚Ja, das gefällt mir.‘ Dieses Gefallen hervorzurufen, darin besteht die Aufgabe des Produzenten.“


 

17. März 1979: Die deutsche Vorentscheidung

Für Dschinghis Khan rückte der große Tag des ersten großen Auftritts immer näher. Schon bei der Generalprobe zur Vorentscheidung waren sich die beobachtenden Insider gar nicht mehr so sicher, ob nicht Dschinghis Khan - die ja vorher noch niemand gesehen hatte - nicht doch der große Außenseiter-Geheimtip wären. Drei Minuten hatte Dschinghis Khan Zeit, dem deutschen Fernsehpublikum und den Juroren zu zeigen, dass sie den besten Beitrag singen würden.


Für die Siegerermittlung hatten sich die Organisatoren dieser Vorentscheidung übrigens etwas ganz Besonderes ausgedacht: Die Entscheidung mitbestimmen konnten 6oo Zuschauer, die vorher angerufen worden waren und deren Entscheidung später via Telefon abgefragt und durch eine Punkterechnung über einen Computer des Umfrageinstituts Allensbach zusammengerechnet wurden.


Die ersten Stimmen, die an jenem denkwürdigen 17. März 1979 zu später Stunde in der Walter-Sedlmayr-Halle in München durch den Computer rollten, gaben dem Dschinghis Khan-Konzept Ralph Siegels recht: Nach einer Minute war schon fast alles gelaufen. Im weiteren Verlauf änderten sich zwar noch die Plazierungen für den Zweiten und den Dritten, der Sieger aber stand fest: Dschinghis Khan.


Ralph Siegel, der mit den anderen Beteiligten hinter der Bühne saß und gebannt auf die Computerzeilen starrte, berichtete später: „Das war natürlich ein ungeheures Gefühl, als wir Sieger der Vorentscheidung wurden. Ich saß da mit meinem Freund Bernd Meinunger, und wir hielten uns an den Händen und wären vor Freude beinahe innerlich zersprungen. Wenn man die ganzen Wochen mit einer solchen inneren Spannung gelebt hat, könnte man ‚hurra‘ schreien. Da sagt man sich dann ganz erleichtert ‚Mensch, das hat geklappt. Das ist ja phantastisch.‘ Die erste Freude wurde natürlich dadurch gedämpft, dass wir die ganze Geschichte in einer Woche in Jerusalem wiederholen mussten.“


Schon am nächsten Tag wirbelte der Dschinghis Khan-Erfolg durch alle deutschen Zeitungen. Und bevor sich Ralph Siegel und Dschinghis Khan darüber im klaren waren, dass sie nun für Deutschland nach Israel fahren würden, war der Song schon in aller Munde. Sofort wurden die musikalischen Senkrechtstarter ins Fernsehstudio geladen: Disco, Drehscheibe und Die aktuelle Schaubu-de des NDR waren der TV-Einstieg der neuen Gruppe. Und während fast alle sich mit Dschinghis Khan über den ersten Erfolg freuten, ging die Arbeit weiter: Bis zum Abflug nach Israel mussten die Kostüme noch verbessert werden, Reisepässe standen zur Verlängerung an, Koffer mussten gepackt werden, Flugtickets gebucht werden. Für Jerusalem sollte dem internationalen TV-Publikum - immerhin rund eine halbe Milliarde Menschen an den Bildschirmen in aller Welt - eine noch perfektere Choreographie geboten werden. Inzwischen kannte man in der Dschinghis Khan-Zentrale in der Münchner Höchlstraße schon die internationalen Konkurrenten: Via Videoaufnahmen hatten sich Ralph Siegel, Wolfgang und Henriet-te Heichel, Leslie Mándoki, Steve Bender, Louis Potgieter und Edina Pop jene Sänger, Sängerinnen und Musiker angeschaut, mit denen sie sich in Jerusalem um den Grand Prix zu streiten hatten.


 

Der Grand Prix

Am 25. März 1979 war es dann soweit. Auf dem Terminplan der Gruppe stand nur lakonisch: „12.30 Uhr Treffen auf dem Flughafen. 14.30 Uhr Abflug nach Athen/Tel Aviv.“


Wolfgang Heichel, den die Gruppe zu ihrem Sprecher gewählt hatte, erzählt, wie es zuging:

„Abflug. Vorher Koffer kaufen, Wohnung abschließen - keiner von uns war ja auf so was vorbereitet. Wir waren plötzlich Stars. Das hat sich zwar immer jeder von uns gewünscht, aber jetzt war's plötzlich soweit. Also Abflug nach Israel. Schon bei der Zwischenlandung in Athen sind die Grenzbeamten auf uns zugekommen und riefen ‚Dschinghis Khan, phantastisch!‘. Die hatten uns in ihrem Fernsehprogramm gesehen, wo bereits alle Lieder für die Endausscheidung vorgestellt worden waren. In Israel haben wir gleich Proben gehabt. Das Ganze war irrsinnig abgesichert mit vier, fünf Militärringen um die Halle. Die Halle war circa zweihundert Meter von unserem Hotel entfernt. Wir gingen also nur immer die paar Meter vom Hotel zur Halle und von der Halle zum Hotel. Und immer wieder Kontrollen und Maschinengewehre. Außerdem war es irrsinnig windig, der Klimawechsel geht sofort auf die Stimme. Und da habe ich richtig Angst gehabt, dass ich keinen Ton herausbringe. Na ja, wir haben die erste Probe gemacht, so den ersten lockeren Durchlauf. Da haben wir dann auch die ganzen Teilnehmer kennengelernt. Und - das muß ich wirklich sagen - es gab überhaupt kein Konkurrenzdenken unter den Teilnehmern. Das ging nur immer ‚Shalom‘, ‚Ciao‘,‚Hey‘. Alle waren furchtbar lieb und sehr aufgeschlossen. Und vom ersten Tag an war eigentlich allen Israelis klar, dass wir gewinnen würden. Man dachte: ‚Gut, dieses Jahr wird Deutschland Sieger.‘ Man merkte das auch an ganz witzigen Kleinigkeiten: Die Kellner in unserem Hotel zum Beispiel hatten Wetten auf uns abgeschlossen. Wie beim Pferderennen. Die haben nicht auf Israel gesetzt, sondern auf uns. Die Leute sind aus den Geschäf-ten herausgelaufen, haben uns umarmt und gesagt ‚Dschinghis Khan ist riesig. Wir lieben euch. Ihr seid phantastisch‘ - so komisch das jetzt vielleicht auch klingt, aber es war so. Das war wirklich eine rührende und herzliche Sache. Die Proben in Israel liefen dann immer besser. Das Orchester war hervorragend. Wir haben jeden Tag geprobt wie die Wahnsinnigen. Und dann kam der Abend der Endausscheidung. Der ganze Komplex wurde hermetisch abgeriegelt. Nachträglich hat man uns erzählt, dass da sogar Raketenabwehr auf dem Dach stationiert war. Einen Tag vorher hatte der israelische Ministerpräsident Begin noch in der Knesset - dem israelischen Parlament - zum Thema Frieden gesprochen. Überall starke Bewachung also. Die Israelis hatten einfach Angst vor Terroristen. In der ersten Nacht zum Beispiel, die wir in Jerusalem verbrachten, sind verschiedene Leute aus dem Bett gefallen, weil irgendwo in der Altstadt eine Bombe hochging. Ich hab' im Halbschlaf gedacht, das ist ein Gewitter. Anderen ist das ganz schön unter die Haut gegangen. Mit der Bewachung lief das übrigens ganz angenehm. Man empfand diese Militärkontrollen gar nicht störend. Sie haben einem ein unheimliches Sicherheitsgefühl gegeben ohne aufdringlich geworden zu sein. Überhaupt war der Eindruck von den Menschen in Israel phantastisch.“


Die ungeheure Beliebtheit, die Dschinghis Khan nicht nur bei den Israelis, sondern auch bei den am Grand Prix teilnehmenden Musikern genoss, beweisen zwei weitere Augenzeugen: So berichtete in einem Zeitungsinterview Gali Atari, die Sängerin der israelischen Gruppe Milk And Honey - die ja später Sieger des Grand Prix wurden: „Ich glaube schon, dass unser Lied ‚Hallelujah‘ Chancen hat, aber mir gefällt das Lied von den Deutschen auch sehr gut. Wahrscheinlich schaffen sie es.“


Und Ralph Siegel, der im Hintergrund mit seinen Schützlingen zitterte, berichtet: „Die Gruppe wurde in Israel - was wir alle nicht erwartet hatten - so herzlich empfangen. Überall, wo wir gerade waren, riefen uns die Menschen zu ‚Ihr gewinnt, ihr gewinnt‘. Das ist natürlich auf der einen Seite nicht so gut, wenn man vorher so zum Favoriten gestempelt wird, aber auf der anderen Seite gibt es einem natürlich Mut, und man strahlt dabei und denkt sich ‚na ja, wir müssen schon ganz gut sein‘. Es gibt einem schon eine gewisse Rückenstütze.


Und die Israelis haben eine phantastische Arbeit geleistet. Das ist ja eine ziemlich schwere Aufgabe, so ein Liveprogramm auf die Beine zu stellen. Aber es gab ganz klare Terminpläne, und die Proben liefen gut, und die Femsehleute waren nett - alle waren reizend.' Und am Tag der Generalprobe hatte die Gruppe dann solch einen Erfolg, daß die Leute im Saal getobt haben.“


Bei der Endausscheidung war Dschinghis Khan wie in Deutschland an 9. Stelle an der Reihe. Erinnert sich Wolfgang Heichel: „Für uns lag Griechenland sehr stark im Rennen. Aber wir sehen so was ja immer als Musiker, weniger als Zuschauer oder Zuhörer. Sich selbst vergisst man immer bei den Überlegungen, wer nun Sieger werden könnte. Man sagt sich immer, die anderen sind so stark; wir gehen auf die Bühne und machen es so gut wir können. Gut, jeder von uns hat sich natürlich gewünscht, Sieger zu werden; vor allem, weil wir diese ungeheuren Vorschusslorbeeren bekommen hatten. Da kamen zum Beispiel ein paar Stunden vor dem Grand Prix ein paar Journalisten von schwedischen Zeitungen zu uns in die Garderobe und fragten: ‚Wie fühlt man sich denn so als heimlicher Sieger?‘


Am späten Abend ging dann das große Zählen los. Das war sehr spannend. Wir lagen auch gut im Rennen, bis Deutschland dem israelischen Lied keinen Punkt gegeben hatte. Wir waren dann mit unserem 4. Platz doch sehr zufrieden; die Politik war ja doch wieder zum Tragen gekommen. Weil Deutschland dem Gastgeberland nicht mal einen Punkt gegeben hatte, entstand das Politikum, obwohl es bis dahin absolut keines gegeben hatte.“


Israel wurde trotz des 4. Platzes für Dschinghis Khan der endgültige und vor allem internationale Durchbruch zum Erfolg.


Als Dschinghis Khan nach Deutschland zurückkam, haben sich auch bundesdeutsche Popfreunde mit der Gruppe gefreut. Schon lange hatte sich kein deutscher Grand-Prix-Beitrag mehr bei der Endausscheidung so weit vorn plazieren können, war dem Sieg so nahe gewesen.


 

Erfolge, Erfolge...

Nach der Festivalroutine begann für die Gruppe die harte Arbeit der Showroutine. Innerhalb weniger Wochen waren die ersten 300 000 Singles Dschinghis Khan verkauft; bekamen die Interpreten die erste goldene Schallplatte. Jeden Tag klingelten sich in Ralph Siegels Zentrale die Telefone heiß: Jeder wollte Dschinghis Khan in seiner Sendung auftreten lassen. Groß aufgemachte Zeitungs-storys berichteten über die Gruppe; zahlreiche farbige Titelblätter schmückten die deutsche Poppresse. Dschinghis Khan reiste zu Femsehauftritten nach Holland und Italien. Und auch in Deutschland hatten sich die TV-Kameras auf Dschinghis Khan einzustellen: Hitparade mit Dieter Thomas Heck, Disco mit Ilja Richter, Starparade mit Rainer Holbe.


Während die Gruppe nach dem Grand Prix bundesweit ein enormes Stressprogramm absolvierte, saßen Ralph Siegel und Bernd Meinunger schon wieder über dem nächsten Problem: Was passiert nach dem Titel „Dschinghis Khan“? Wie wird die nächste Single heißen? Wie sollen die Songs der Langspielplatte aussehen? Dies waren die Fragen, mit denen sich der Dschinghis Khan--Schöpfer und sein Team auseinanderzusetzen hatten. Der Meister aber hatte bereits etwas in der Schublade: Schon bevor Dschinghis Khan überhaupt zur Vorentscheidung in München auf der Bühne gestanden hatte, war Komponist Ralph Siegel auf den richtigen Song gekommen: „Ich bin eines Nachts um vier Uhr aufgewacht und hatte plötzlich die Idee zu Moskau. Und ich bin in der Nacht sofort aufgestanden und habe das ganze Lied - allerdings ohne Text, nur mit der Zeile „Moskau“ - auf dem Klavier gespielt und habe gehofft, daß es mir am nächsten Tag noch gefallen würde. Und ich bin am nächsten Morgen aufgestanden und habe mir das Lied angehört und versichert: ‚Das ist's!‘ An Moskau haben Bernd Meinunger und ich dann sehr lange gearbeitet. Besonders Bernd. Er hat den Text immer wieder neu geschrieben. Die Problematik bei dem Lied war, es nicht politisch zu schreiben. Es ergab sich natürlich wieder eine östliche Atmosphäre, und außerdem kam mir die Tatsache der Olympischen Spiele 1980 in Moskau insofern zu Hilfe, als ich sagte, ‚nehmen wir doch die olympischen Farben, die ja wunderbar in fünf Personen darstellbar sind‘.“


Gleichzeitig mußte natürlich auch an einer neuen Choreographie gearbeitet werden: Bevor Moskau dem verdutzten deutschen Publikum am 14. Juni in Rainer Holbes Starparade vorgestellt werden konnte, arbeitete Hannes Winkler wieder mit den sechs Dschinghis Khan-Mitgliedern tage- und wochenlang im Tanzstudio, um neue Einfälle und neue Schrittkombinationen in die Tat umzusetzen.


Gleichzeitig brütete das Siegel-Team über einer Langspielplatte: Im Gegensatz zu anderen, zusammengestellten Gruppen beteiligten sich die einzelnen Dschinghis Khan-Mitglieder an der LP-Arbeit. so schrieb Leslie Mándoki zum Beispiel die Musik zum Titel Puszta und Steve Bender die Melodie zu Paß auf der Drache kommt.


Hier wird auch ein ganz genereller Unterschied zu einer Gruppe wie zum Beispiel Boney M. deutlich:


Dschinghis Khan singt und zeigt nicht nur das, was andere ihnen schreiben und komponieren, sondern arbeitet an dem Konzept »Dschinghis Khan« selbst mit. Wolfgang Heichel zum Beispiel sagt: „Wir sind keine Discogruppe, wir sind nicht Boney M. Wir möchten halt Entertainment machen, wir möchten dem Publikum einfach ein bisschen Freude bringen. Und das drückt sich darin aus, daß wir die Sinne der Zuschauer beschäftigen. Wir wollen, daß der Zuschauer etwas zu sehen bekommt, wir wollen seine Phantasie anregen. Das Publikum soll sagen ‚Mensch, da kommt Dschinghis Khan. Da schauen wir hin. Mal sehen, was die sich jetzt wieder ausgedacht haben.‘ Wir wollen einfach Freude bereiten, weil Dschinghis Khan uns selbst Freude bereitet. Dass wir damit richtig liegen, zeigen die 30 000 oder 40 000 Briefe Fanpost.“


Und Ralph Siegel ergänzt: „Die Zukunft der Gruppe bezieht sich in erster Linie auf die sechs Mitglieder selbst. Ich glaube, dass längerfristig das Konzept die Gruppe selbst ist. Die sechs haben so viel selbständige musikalische Potenz: Leslie Mándoki komponiert selbst, der Steve komponiert, und Wolfgang Heichel schreibt auch Lieder. Edina spielt hervorragend Klavier - alle machen gern und gute Musik. An erster Stelle wird auch in Zukunft bestimmt nicht die Krone von Louis oder die Glatze von Steve stehen, sondern die Tatsache, dass die Gruppe in sich eine starke musikalische Gruppe sein kann und ist. Man muss heute - das ist meine persönliche Meinung - im Showbusiness ein bisschen mehr machen, als sich nur im schwarzen Anzug vor ein Mikrofon zu stellen. Ich glaube, das haben uns viele internationale Künstler gezeigt. Nehmen Sie nur Village People, die haben sich auch ein bißchen mehr ausgedacht. Wir arbeiten ja fürs Fernsehen, wir arbeiten fürs Publikum. Die Schallplatte ist ein Medium, das als Schallplatte in sich bestehen bleiben muss, aber wenn die Gruppe einen Fernsehauftritt oder ein Konzert hat, dann wollen die Leute meiner Ansicht nach nicht nur etwas hören, sondern auch etwas sehen. Und da gehört eben ein bißchen mehr dazu als nur der dunkle Anzug. Da kann man dem Zuschauer ein bisschen mehr bieten, und Dschinghis Khan ist nicht nur dazu begabt, sondern geradezu prädestiniert: Sie sehen gut aus, sie tanzen gut, sie sind musikalisch, sie haben sehr viel Charme und auch den Willen, dem Publikum eben mehr zu bieten als nur sechs Leute, die vor dem Mikrofon stehen und ein Lied singen. Entertainment ist das altgebrauchte Wort dafür, und ich bin eigentlich ein Mensch, der das Entertainment liebt.“


Während man sich also in der Münchner Höchlstraße in einer alten Villa - dem Sitz der Siegel-Musikverlage - über die weitere Zukunft der Gruppe Dschinghis Khan ernsthafte Gedanken machte, marschierte die Gruppe auch in den ausländischen Hitparaden ganz nach vorne:

Wochenlang hielt sich der Titel in den Charts von Australien, Holland, Dänemark, Schweden, Schweiz, Norwegen und Finnland. In zwei Ländern aber war der Erfolg selbst für die inzwischen in Sachen Dschinghis Khan auf Erfolg ausgerichteten Münchner Macher frappierend: in Japan und in Israel.


In Japan eroberten die Titel Dschinghis Khan und Moskau in deutscher Sprache Platz eins der

internationalen Hitparade. Weder vorher noch bis zum heutigen Zeitpunkt hat je ein deutsches

Lied oder eine deutsche Gruppe den eigenen deutschsprachigen Titel dort auf Platz eins der

internationalen Charts plazieren können. Berechtigter Jubel also im Hause Siegel. Schon für das Jahr 1979 riefen die Japaner nach einer Dschinghis Khan-Tournee durch die Nippon-Insel. Allein der Terminknappheit wegen konnte die Gruppe nicht fahren. Die Tournee soll nun 1980 realisiert werden. Inzwischen gibt es eine japanische Coverversion des Liedes Dschinghis Khan, d.h., ein japanischer Künstler singt in einem neuen Arrangement den Titel in der Landessprache. Die japanische Version plazierte sich prompt in den nationalen Charts ganz vorn.


In Israel wurde der Song Dschinghis Khan zum Hit des Jahres 1979. Vierzehn Tage nach dem Grand Prix - so berichtet Ralph Siegel - war das Lied bereits auf Platz eins der israelischen Hitparade. Das ist deswegen um so erstaunlicher, da seit Bestehen des israelischen Rundfunks noch nie ein deutschsprachiges Lied über den Sender lief, geschweige denn sich in der Hitparade plazieren konnte.


Ralph Siegels Firmenpartner in Israel riefen verzweifelt in München an und forderten eine Israel-Tournee der Gruppe. Ihr Kommentar: „Dschinghis Khan ist im Moment das größte Lied überhaupt. Die Gruppe muß sofort kommen.“ Am 25. Oktober 79 war es dann wieder soweit: Die Gruppe flog erneut nach Israel. Trotz Hektik und Stress, trotz Klimawechsel und Reisestrapazen absolvierte die Gruppe in vier israelischen Städten sieben 30- bis 40-Minuten-Shows. Doch nicht nur das Publikum jubelte. Die Gruppe hatte bereits eine goldene Schallplatte aus Israel in der Tasche, nun wurde ihr von offizieller Seite auch noch eine ganz besondere Ehrung zuteil: Am 31. Oktober erhielten die sechs Dschinghis Khan-Mitglieder aus der Hand des israelischen Ministers für Kultur den noch ganz jungen »Israel-Egypt-Peace-Price« -die »Israelisch-Ägyptische Friedensmedaille«. Der Vorgang, in der Bundesrepublik bisher viel zuwenig beachtet, ist um so höher zu bewerten, als man um die jüngste deutsche Vergangenheit weiß und die enormen Bemühungen von Israelis und Ägyptern um einen Frieden im Nahen Osten kennt. Doch die sechs Münchner sollten noch eine weitere Auszeichnung während dieser kurzen Israel-Tour erhalten: Dschinghis Khan wurde als der besten Gruppe des Jahres 1979 der israelische »Oscar 79« überreicht. Auch diese Auszeichnung hat vorher noch nie eine ausländische Gruppe erhalten.


Auch im eigenen Land war Dschinghis Khan inzwischen hoch geehrt worden: Schon vor der zweiten Israel-Reise überreichte Radio Luxembourg der gefeierten Gruppe in der Dortmunder Westfalenhalle den goldenen Löwen, eine der höchsten Auszeichnungen in der deutschen Popbranche. Natürlich regnete es auch weiter goldene Schallplatten für Dschinghis Khan: Am 3. Dezember - die Gruppe bestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein ganzes Jahr - konnten den sechs Mitgliedern, den Komponisten und Textern für 250 000 verkaufte Langspielplatten die schweren Gold-LPs überreicht wer-den. Im Rahmen eines fröhlichen Galaabends in der Münchner Diskothek Club Pine, zu dem Ralph Siegel alle Freunde und Helfer seines erfolgreichen „Kindes“ Dschinghis Khan eingeladen hatte, wurden die Auszeichnungen überreicht.


 

"Hadschi Halef Omar" und die Zukunft

Doch die Gruppe musste sich schon wieder sputen: Noch vor Jahresende sollte der nächste Singletitel fertig sein: Hadschi Halef Omar, der kleine Helfer des großen und gerechten Kämpfers Kara Ben Nemsi in Karl Mays orientalischen Erzählungen, ist der Titelheld des Songs. Für Dschinghis Khan begann damit die Arbeit wieder von vorn. Neue Kostüme, diesmal von der bekannten Modeschöpferin »Gisela« mit ihrem Team; neue Choreographie, neue Musik, neue Studioaufnahmen. Das Ergebnis wurde dem deutschen Publikum zur Jahreswende präsentiert: In der Silvester-Tanz-Party des Zweiten Deutschen Fernsehens - vom 10. bis 16. Dezember in Saarbrücken aufgezeichnet - präsentierte Dschinghis Khan zum erstenmal den neuen Song Hadschi Halef Omar.


Ralph Siegel berichtet über die Idee zu diesem Lied: „Bei den Überlegungen für eine neue Single kamen wir auf die Tatsache, dass in Deutschland Kinder und auch Er-wachsene eine Lieblingsfigur in der neuzeitlich älteren Literatur haben: Karl May. Karl May ist heute noch der von der Jugend meistgelesene Autor. Und mein Freund Bernd Meinunger kam auf die Idee - nachdem Winnetou und Old Shatterhand als Lied schon gelaufen waren und wir ja auch nicht Cowboy und Indianer spielen wollten -, eine Figur zu besingen, die jung und alt kennt und liebt, eben Hadschi Halef Omar. Ich hoffe, es werden sich alle so freuen wie die Streicher, die ich bei der Aufnahme im Studio hatte: Der erste Konzertmeister - der immerhin fast sechzig Jahre alt ist - hat sich so riesig gefreut; dass er uns gleich den ganzen Namen dieser Figur gesagt hat: Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd Al Gossara.


Im April 1980 soll die zweite Langspielplatte von Dschinghis Khan fertig sein. Sie wird die meisten Dschinghis Khan-Fans verblüffen: In Zukunft nämlich haben die sechs Musiker und Sänger mit ihrem Produzenten Ralph Siegel noch eine Menge vor. Kommentiert Ralph Siegel geheimnisvoll: „Wir haben mit Hadschi Halef Omar noch einmal ein Lied gemacht, das verhältnismäßig leichte Popmusik mit keinem zu gravierend ernsten Text ist, sondern die fröhliche Beschreibung der bekannten Person Hadschi Halef Omar. Auf dem neuen Album werden wir noch einige teilweise zeitkritische, beziehungsweise retrospektive Themen anfassen. Ich möchte trotzdem jetzt noch nicht darüber sprechen, weil unsere Ideen nämlich sehr ausgefallen sein werden. Ich glaube, dass das, was wir musikalisch anzubieten haben, wiederum die Erwartungen einiger übertreffen wird.“ 


Quelle:

Peter Cornelsen / Peter Hartmann jr.: Dschinghis Khan

Taschenbuch Bastei Lübbe 1980; ISBN 3-404-60014-2

Stand 1980